Sind die biblischen Aussagen zur Homosexualität theologisch überholt?

(Besprechung zu) Christopher B. Hays / Richard B. Hays: The Widening of God’s Mercy. Sexuality within the Biblical Story, New Haven: Yale University Press, 2024, in: https://rezensionen.afet.de/ (16.10.2024):

„Wie sind die biblischen Aussagen zur Homosexualität zu interpretieren und auf unsere heutigen Fragestellungen anzuwenden? Dazu hatte sich der amerikanische Neutestamentler Richard Hays (von der Duke Divinity School) bereits 1996 in einem viel beachteten Kapitel seiner einflussreichen Einführung in die neutestamentliche Ethik geäußert: „The Moral Vision of the New Testament“ (MVNT) 379–406 (für eine deutsche Übersetzung siehe hier). Diesem schwierigen sexualethischen Thema ist auch das gesamte, sehr persönliche Buch „The Widening of God’s Mercy“ (WGM) gewidmet, das Richard 2024 gemeinsam mit seinem Sohn Christopher Hays (vom Fuller Theological Seminary) veröffentlicht hat. Die beiden Autoren bedienen sich zwar durchgehend der Abkürzung LGBTQ, als würden sie über ein breites Spektrum von sexuellen Phänomenen schreiben, wollen aber ausdrücklich nicht die Themen Bisexualität und Transgender (17) und auch nicht das Thema Intersexualität behandeln, sondern beschränken sich ganz auf Menschen mit homosexueller Orientierung …“

Pseudepigrafie / Pseudepigrafen

Pseudepigrafie / Pseudepigrafen, in: Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde 3 (2024) 1638-1644:

„Pseudepigrafie (P.; von griech. pseudepigraphos = mit falscher Aufschrift) bedeutet „Falschzuschreibung“ (eines Schriftstücks). Pseudepigrafen sind Schriftstücke, die einen falschen Verfassernamen tragen. Im Unterschied zu anonymen Schriften, die keine Verfassernamen tragen, und orthonymen Schriften, deren Verfasserangaben zutreffen, stammen Pseudepigrafen nicht von den Autoren, deren Namen sie tragen. Primäre Pseudepigrafen werden von ihren Autoren mit einer falschen Verfasserangabe versehen, sekundäre Pseudepigrafen von ihren Lesern.

Zu berücksichtigen sind verwandte lit. Phänomene: Ein Plagiator versieht nicht seinen Text mit einem fremden Namen, sondern einen fremden Text mit seinem Namen. Der Interpolator schiebt dem Autor eines Textes einen nicht von diesem stammenden Abschnitt unter. Historiker können geschichtl. Personen fiktive Reden in den Mund legen.

Rechnete ein antiker Autor damit, dass seine unzutreffende Verfasserangabe von den Lesern durchschaut wurde, lag transparente P. ohne Täuschungsabsicht vor. Legte es ein Verfasser darauf an, seine Leser durch einen falschen Autorennamen über die Herkunft seines Textes zu täuschen, produzierte er eine lit. Fälschung. Für viele Schriften des frühen Christentums ist umstritten, ob es sich um Pseudepigrafen handelt und ob diese mit oder ohne Täuschungsabsicht verfasst wurden …“

Anonymity, Orthonymity and Pseudonymity in Hebrews and the Catholic Epistles

Anonymity, Orthonymity and Pseudonymity in Hebrews and the Catholic Epistles, in: Oxford Handbook of Hebrews and the Catholic Epistles, Hg. Patrick Gray, Oxford: University Press, 2024, 51-72:

„This essay considers the dynamics of authorial attribution in early Christian letter writing, including anonymity, orthonymity, and pseudonymity, in the Catholic Letters. The authorial attributions in the Catholic Letters must be interpreted within a broader context. The corpus of the Apostolic Fathers also contains both named and anonymous letters. While the meaning of orthonymity is rather obvious and the meaning of pseudonymity has been investigated in depth, literary anonymity can be explained more precisely than in previous research. First, the anonymity of early Christian letters had a practical precondition. As Galen of Pergamon’s comments on his anonymous texts demonstrate, texts that were designed for students and friends did not need inscriptions with the author’s name since the intended readers knew who the author was. Likewise, personal relationships with their readers allowed the writers of Hebrews and the so-called Johannine Letters to write their texts anonymously. Second, the anonymity of early Christian letters had a programmatic purpose. This can be deduced from the concept of literary anonymity in ancient narratives, where it was much more common. The anonymous authors of the Catholic Epistles and Hebrews wanted to express that they were not the creators of their messages but only witnesses of what they had seen and heard and transmitters of the teaching of Jesus and his apostles.“ (Abstract)

Welchem Wahrheitsbegriff waren die neutestamentlichen Evangelien verpflichtet?

Welchem Wahrheitsbegriff waren die neutestamentlichen Evangelien verpflichtet und welchen Beitrag leisten sie zur Begründung des christlichen Glaubens? in: Ichthys 2024/1, 13-25:

Das Thema dieses Aufsatzes begann mich zum ersten Mal in meiner Zeit als Gymnasiast zu interessieren. Im Religionsunterricht versuchte ich gelegentlich, mich in Diskussionen auf Aussagen der Evangelien zu beziehen. Darauf bekam ich von meinem Religionslehrer als Antwort zu hören, dass ein solcher (naiver) Umgang mit den Evangelien unangemessen sei, da man in der Antike und damit auch in der Zeit des Neuen Testaments ein ganz anderes Wahrheitsverständnis gehabt habe als wir modernen Menschen heute. Im Altertum habe man noch nicht klar zwischen historischen Fakten und fiktiven Aussagen unterscheiden können. Daher dürfe man in den Evangelien auch keine in unserem Sinne historischen Berichte über das Leben Jesu suchen …

Hat Paulus durch magische Tücher Kranke geheilt?

In Apg 19,11-12 ist davon die Rede, dass Menschen, die krank waren oder böse Geister in sich hatten, gesund geworden sind, nachdem sie die Schweißtücher des Apostels Paulus berührt hatten. Was das zu bedeuten hat und wie man diese Stelle theologisch einordnen kann, erklärt Armin Baum, Professor für Neues Testament an der FTH Gießen.

https://www.fthgiessen.de/fthpodcast/armin-baum-hat-paulus-durch-magische-tuecher-kranke-geheilt/

Nawalny und die ungerechten Weingärtner

IDEA 13/2024, 16-17:

„Man muss die Bibel lesen, damit man die Zeitung versteht.“ Denn Zeitunglesen ohne biblische Zukunftsperspektive kann niederschmetternd sein. Diese Maxime unseres ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau (1931–2006) hat sich in den letzten Wochen wieder einmal bestätigt. Am 1. März dieses Jahres wurde der russische Regimekritiker Alexej Nawalny beigesetzt. Er wurde nur 47 Jahre alt. Seine so beeindruckende wie deprimierende Passionsgeschichte hat mich besonders an einen Bibeltext erinnert: Jesu Gleichnis von den ungerechten Weingärtnern …“

Warum durften christliche Männer beim Beten keine Kopfbedeckung tragen?

Der Apostel Paulus hat nicht nur die christlichen Frauen in Korinth aufgefordert, beim Beten ihren Kopf zu bedecken, sondern umgekehrt die christlichen Männern aufgefordert, mit unbedecktem Kopf zu beten (1 Korinther 11,3-7). Was war der Sinn dieser auf den ersten Blick unverständliche Vorschrift? Wie wirkt in unserer heutigen Kultur nach? Und wie können Christen mit dieser biblischen Vorschrift gut umgehen?

Das Konzept der sexuellen Orientierung in der griechisch-römischen Umwelt des Neuen Testaments

Das Konzept der sexuellen Orientierung in der griechisch-römischen Umwelt des Neuen Testaments: Philosophische, medizinische, astrologische und andere Quellentexte in deutscher Übersetzung, in: Ephemerides Theologicae Lovanienses 99 (2023) 609-637 [open access]:

Abstract: The thesis of Karl Hoheisel in his seminal RAC article of 1994 that ‚the concept of constitutional, predispositional homosexuality was already common in the Hellenistic world‘ can be confirmed by numerous additional statements from philosophical, medical, astrological and other Greco-Roman source texts. Hence the argument used by several biblical scholars that the ancient world did not know (or only tentatively knew) of the notion of different sexual orientations or that Paul could not have known that homosexuality was an unintended and irreversible predisposition is historically untenable.

Das Konzept der sexuellen Orientierung ist bereits in philosophischen, medizinischen und astrologischen Texten sowie in der Unterhaltungsliteratur der Antike nachweisbar. Die Aussage, es sei erst im 19. Jahrhundert entwickelt worden und in der Antike unbekannt gewesen, ist unzutreffend. Die Vielzahl antiker Autoren unterschiedlichster Fachrichtungen und Epochen, die sich zum Thema geäußert haben, lassen sich auch nicht als Einzelstimmen bezeichnen. Genauso unzureichend ist angesichts der Ausführlichkeit, mit der sich antike Philosophen, Mediziner und Astrologen zum Thema geäußert haben, die Einschätzung, eine homosexuelle Verlangung sei in der Antike allenfalls in Ansätzen bekannt gewesen.