Um eine belastbare Antwort auf die synoptische Frage geben zu können, reicht es nicht aus, anhand einer griechischen Synopse die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Evangelien zu analysieren. Es müssen auch historische Analogien herangezogen werden. Dazu ist ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich. Neben synoptischen Befunden aus der antiken Literatur (Chronik, Josephus usw.) sind vor allem synoptische Texte aus mündlichen Kulturen relevant.
Prof. Dr. Armin D. Baum (FTH Gießen) präsentiert in dieser dritten Folge synoptische Texte aus der mündlichen Literatur Südjugoslawiens (1930er Jahre), aus der mündlichen Literatur Nordamerikas (1890er Jahre) und aus der mündlichen Literatur Westafrikas (1960er Jahre). Darüber hinaus bezieht er auch synoptische Befunde aus der rabbinischen Überlieferung ein. Daraus ergeben sich mehrere Erkenntnisse:
- Eine mündliche Tradition hat (gegen Eichhorn, Morgenthaler u.a.) durchaus die Kraft, mündlich überlieferte Sätze bis auf den Wortlaut genau zu fixieren.
- In der antiken Literatur sind bisher keine Paralleltexte nachgewiesen worden, deren Verhältnis dem zwischen den Synoptikern so ähnlich ist wie die beiden Fassungen des rabbinischen Traktats Avot de Rabbi Natan A par B (und ähnliche rabbinische Paralleltexte).
- Die rabbinische Traditionsliteratur entstammt einem historischen Kontext, in dem ein „Nebeneinander von mündlicher und schriftlicher Überlieferung mit dem Vorrang des mündlichen Textes“ (Günter Stemberger) bestand. Daher ist anzunehmen, dass auch die Parallelen zwischen den synoptischen Evangelien nicht primär auf Abschreibevorgänge, sondern auf mündliche Überlieferungsprozesse zurückzuführen sind.
Fazit: Wenn wir uns von unserer „Schreibtischmentalität“ lösen und interdisziplinär nach historischen Analogien fragen, zeigt sich, dass das synoptische Problem am besten mithilfe eines starken mündlichen Faktors gelöst werden kann.