Wie hoch ist die synoptische Christologie?

Wie hoch ist die synoptische Christologie? Die implizite Christologie der Synoptiker und die explizite Christologie des Johannesevangeliums im Vergleich, in: Gott als Mensch. Christologische Perspektiven. Hg. R. Hille. Gießen: Brunnen, 2015, 33-95:

(Fazit:) „Solange der Blick des Lesers sich auf die christologische Terminologie der Evangelien richtet, scheint das Johannesevangelium eine wesentlich höhere Christologie zu enthalten als die Synoptiker. Denn es ist viel reicher an Sohnes- und Vater-Worten Jesu als die synoptischen Evangelien. Diese Vater-Sohn-Terminologie hat sich in der Christenheit durchgesetzt. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen wir unseren Glauben an Gott und „an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn“. Nicht zuletzt durch den Einfluss des Johannesevangeliums hat sich dieser Sprachgebrauch fest etabliert.

Als Bibelleser, die ihre Christologie ganz johanneisch formulieren, müssen wir aber Acht geben, die Christologie vorjohanneischer Texte nicht daran zu messen, wie stark sie von der Vater-Sohn-Terminologie gesättigt sind. Sobald der Exeget nämlich durch die terminologische Oberfläche hindurchschaut und die christologische Substanz der Evangelien in den Blick nimmt, verflüchtigt sich der scheinbare christologische Niveauunterschied. Das vierte Evangelium enthält keine höhere Christologie als die synoptischen Evangelien. Jesus wird nicht nur im Johannesevangelium, sondern auch bei den Synoptikern als der Messias und der einzigartige Gottessohn dargestellt, der von Gott gesandt wurde, um Gott vollständiger als bisher zu offenbaren, den Anspruch erhebt, über Heil und Unheil zu entscheiden, und seine göttliche Autorität durch eigenständige Wundertaten beweist. Jesus erhebt und begründet bei den Synoptikern denselben übermenschlichen Hoheitsanspruch wie bei Johannes – mit Ausnahme des Präexistenzgedankens, der sich nur bei Johannes findet.

Meines Erachtens sollte man den Unterschied zwischen der johanneischen und der synoptischen Christologie nicht mit dem Gegensatzpaar „menschlich – göttlich“ beschreiben, sondern mit den Adjektiven „implizit“ und „explizit“ . Bei Johannes bedient Jesus sich einer viel expliziteren christologischen Terminologie als bei den Synoptikern. Bei den Synoptikern ist der hohe christologische Anspruch Jesu zwar vorhanden aber terminologisch schwächer markiert, während er bei Johannes auch terminologisch unübersehbar ist. Bei Johannes bringt Jesus seine göttliche Identität stärker auf den Begriff als bei den Synoptikern. Die implizite Christologie der Synoptiker und die explizite Christologie des Johannes unterscheiden sich zwar im Wortlaut, sind aber inhaltlich auf derselben theologischen Hochebene angesiedelt“.